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Was Fußball-Legende Dixie Dörner über Stasi, BFC und fliehende Mitspieler dachte

Ein Zeitzeugen-Gespräch mit Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner (1951-2022) von 1999. Es ist zwar etwas länger, aber deshalb habt Ihr das in dieser Ausführlichkeit sonst noch nirgends gelesen und sollte auch für Nicht-Dynamo-Fans erstaunliche Einblicke bieten – etwa, mit wem Dörner in einem Haus wohnte und was er darauf antwortet, ob der BFC bevorzugt wurde und warum er seine Heimat nie verlassen hätte.

Das Gespräch führte Ingolf Pleil, Journalist bei den Dresdner Neuesten Nachrichten, für eine wissenschaftliche Arbeit. Das hat dann auch Eingang in das Buch „Mielke, Macht und Meisterschaft“ (Ch.Links-Verlag, Berlin) gefunden.

Herr Dörner, wann und wie hatten Sie zum ersten Mal Kontakt mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS)?

Man muss es anders betrachten. Kontakte hat es von Beginn an gegeben, bei jedem Spieler, der bei Dynamo Dresden gespielt hat. Das ergab sich daraus, dass das MfS neben der Polizei eine Art Sponsor war, wie man heute sagen würde. Die haben Dynamo also finanziell unterstützt und auch andere Mittel zur Verfügung gestellt, wenn ich an Fahrzeuge usw. denke. Das waren also Kontakte, die man immer gehabt hat.

Die gab es auch schon von 1969 an?

Ja, wir sind 1971 das erste Mal Meister geworden, da gab es Feiern und da war natürlich auch der führende Mann vom MfS da. So sind die Kontakte entstanden, zu bestimmten Anlässen gab es auch Einladungen für die ganze Mannschaft

Wie sind die MfS-Leute dabei aufgetreten, in Uniform oder in Zivil?

Ja, ganz normal als Zivilisten, wir waren zwar als Spieler Angestellte der Volkspolizei (VP) und hatten unsere Uniform, aber die haben wir ja fast nie getragen, zumindest nicht in Dresden.

Wie ist Ihr erster persönlicher Kontakt mit dem MfS gelaufen?

Ich muss sagen, ich hatte das große Glück, dass ich auf dieser Basis nie angesprochen worden bin, Mitarbeiter zu werden oder so, warum auch immer, aber da hat es nie eine Ansprache gegeben bei mir. Zum Glück, sage ich mal. Als Spieler hat man schon mitbekommen, dass bei Europacupspielen schon Leute mit dabei waren. Meinen ersten persönlichen Kontakt hatte ich, als die ersten Spieler die Seiten gewechselt haben, Ende der 70er.

Zuvor hat es keine Berührung mit dem MfS gegeben, zumindest bei den Auswärtsspielen im Westen (NSW) werden doch immer welche dabei gewesen sein?

Offiziell nicht. Und ich muss sagen, ich habe mich darum auch nie gekümmert, weil für mich als Fußballspieler die sportliche Aufgabe im Vordergrund stand. Es war auch nie so, dass die Leute, die vielleicht um die Mannschaft herum waren, Eingriff genommen haben in die Mannschaft. Die haben sich schon zurückgehalten, die haben sicher alles beobachtet, aber, ja Gott, das war sicher ihre Aufgabe, aber wir haben uns auf den Fußball konzentriert

Und da gab es auch keine Kontakte zu den Spielern, da wurde nicht ständig das Gespräch mit Spielern gesucht, um die Stimmung herauszubekommen …?

Ja gut, ich kann jetzt nur für mich sprechen. Ich bin da absolut in Ruhe gelassen worden. Ich hätte mir das sicher auch nicht gefallen lassen, so kurz vor Spielen.

Wie sind Sie mit dem MfS-Verantwortlichen für den Verein umgegangen?

Es hat sicher immer Ansprechpartner gegeben, aber weniger für die Spieler, als viel mehr für die Verbindung zu Funktionären, ab und zu sind sie auch mal zum Training gekommen, oder wenn wir vom Flugplatz gekommen sind, dann waren die da.

Aber es gab keinen offiziellen MfS-Vertreter, der direkt im Verein sein Büro gehabt hätte, und jeder wusste, dass ist der Mann vom MfS?

Nein, das gab es nicht.

Die sind nur je nach Bedarf ins Stadion gekommen?

Ja, sicher waren die zu jedem Heimspiel da. Aber dass es eine Büroarbeit im Stadion gegeben hätte, das entzieht sich meiner Kenntnis.

Hat sich das Auftreten des MfS im Laufe der Jahre verändert?

Natürlich sind die am Anfang seltener aufgetreten. Aber das hängt ganz einfach mit der Entwicklung der Mannschaft zusammen. Als ich 69 anfing, haben wir weder international noch im DDR-Fußball eine Rolle gespielt. Das begann erst 1969 mit der Ära Fritzsch (Walter Fritzsch war Trainer bis 1978 d.A.). Dann sind wir in der DDR ins Geschäft gekommen und dann kam es auch zu den internationalen Begegnungen. Dann hat sich auch die Arbeit des MfS entwickelt. Am Anfang war das mit Sicherheit weniger.

Haben Sie sich in der Mannschaft darüber unterhalten?

Nein, der Apparat war gut organisiert. Das hat keiner von den anderen gewusst. Darüber ist auch nicht gesprochen worden. Es hat auch niemand damit gerechnet, dass es soweit geht.

Sie sind nie wegen einer Mitarbeit angesprochen worden?

Nein, einen solchen Kontakt hat es nie gegeben, warum kann ich Ihnen nicht sagen, und er ist auch nie zustande gekommen.

Wie haben Sie den Fall Weber-Kotte-Müller erlebt?

Erlebt habe ich es im Prinzip ganz direkt. Wir sind damals nach Südamerika geflogen und haben uns zuvor in Berlin-Schönefeld im Hotel getroffen. Und am nächsten Morgen, ziemlich früh, so um sechs, halb sieben, sind wir zum Frühstück gekommen und da wurde uns mitgeteilt, dass diese drei Spieler nicht mit nach Südamerika kommen, dass da irgendwelche Sachen geklärt werden müssten. Und in Südamerika sind wir dann vom Trainer Buschner (DDR-Nationalmannschaft) so informiert worden, dass alles in Ordnung ist, mit den dreien alles in Ordnung ist, die würden weiter spielen. Jedenfalls sind wir nach drei Wochen wiedergekommen und sind in Kopenhagen abgeholt worden vom damaligen Generalsekretär des DFV (DDR-Fußballverband), Werner Lempert. Der hat uns informiert darüber, dass die drei Spieler nicht mehr für Dynamo spielen werden, dass sie gesperrt worden sind und aus dem DTSB (Deutscher Turn- und Sportbund in der DDR) ausgeschlossen. Das war für uns als Dynamos schon ein herber Schlag. Weil wir natürlich wussten, dass die drei im besten Fußballalter waren und wir drei Leistungsträger auf einen Schlag verlieren. Aber ich muss natürlich auch sagen, das Kuriose war damals, der Peter Kotte und ich, wir haben in einem Haus gewohnt. Ich war also drei Wochen in Südamerika. Wir sind abgereist. Meine Frau wusste, der Peter Kotte ist mit dabei und zwei, drei Tage später hat sie ihn im Haus getroffen. Und war ganz erschrocken, was los ist. Und er durfte oder konnte keine Auskunft geben. Das war schwierig für die Familien, die wussten nicht, was los ist. Kotte hat nur gesagt, dass kann ich Dir nicht sagen, das wirst Du bestimmt noch erfahren. In den Zeitungen hat ja nichts gestanden.

Und Buschner hat in Südamerika versucht, zu beruhigen, oder wusste er es nicht besser?

Das kann ich jetzt nicht sagen. Ich denke mal die Funktionäre sind bestimmt informiert worden, ob der Trainer das wusste, kann ich nicht sagen.

Sie kamen also früh zum Essen und es fehlten drei?

Ich weiß das noch genau. Wir sind hochgekommen ins Restaurant, da waren die schon nicht mehr da. Und man hat uns nur gesagt, die fahren nicht mit.

Hatten Sie im Vorfeld von den Plänen der drei etwas mitbekommen?

Nein, davon bekommt man doch nichts mit. Es war ja zu dieser Zeit wirklich so, wenn du einigermaßen Fußballspielen konntest und du warst im Ausland, dann sind wir natürlich angesprochen worden, von irgendwelchen Leuten, von Vereinen.

Für Sie kam das nicht in Betracht?

Nein, ehrlich gesagt, kam das für mich nicht in Betracht, weil ich relativ früh verheiratet war, ich hatte ein Kind zu Hause. Und ich wusste natürlich, was das bedeutet hätte für meine Familie, das hätte die absolute Trennung von meiner Familie bedeutet. Und mir ist es in der Zeit gut gegangen, ich hatte gar keinen Grund dafür.

Haben Sie die Anbahnung des Fluchtversuches mitbekommen?

Ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen. Natürlich haben wir nach dem Spiel in der Hotelbar gesessen und da kamen irgendwelche Leute. Da kamen immer irgendwelche, und natürlich haben wir manche auch gekannt, warum soll ich an denen vorbei gehen? Es wäre ja absolut hirnrissig gewesen, an denen vorbei zu gehen. Warum soll ich mich nicht mit denen unterhalten.

Wie haben sich da die Stasi-Leute verhalten?

Es ist ja grundsätzlich nie jemand von denen irgendwie dazwischen gegangen und hat gesagt: Ihr dürft mit denen jetzt nicht reden. Das ist ja alles vorher gemacht worden, im Prinzip. Da hat es ja immer wieder denselben Quatsch gegeben: Ihr dürft keine Kontakte haben und überlegt Euch, ob ihr mit den Spielern redet. Das ist bei uns Spielern ins linke Ohr rein und aus dem rechten wieder raus. Die Leute, die so was sagen, die gehen ja völlig an der Realität vorbei.

Wer hat diese Vorträge gehalten?

Der Clubvorsitzende oder sein Stellvertreter. Aber da hält sich ja niemand dran. Es war auch nie ein Trainer, der so einen Schwachsinn erzählt hat.

Das war Standard vor jedem Spiel?

Ja, das war Standard, aber wir haben mit dem gesprochen und mit dem und da ist niemand dazwischen gegangen, also das haben sie sich auch nicht getraut. Das wäre ja auch völliger Blödsinn gewesen. Was dann im Nachhinein gemacht wurde, weiß ich natürlich nicht.

Hat es dann danach eine Auswertung gegeben, weil sich niemand daran gehalten hat?

Nein, ich kann doch nicht an meinem Gegenspieler stur vorbei rennen. Der denkt doch: Sind die denn bekloppt? Oder ich hätte ja nie einen Kellner ansprechen können oder so etwas. Natürlich sind wir auch provoziert worden seitens der Presse. Manche Reporter sind uns auf Schritt und Tritt gefolgt. Die haben es sogar fertig gebracht und haben gesagt: Passt mal auf, wir gehen in ein Kaufhaus und ihr geht mal hier an den Tisch und kauft mal etwas, wir bezahlen euch das. Solchen Schwachsinn hat es auch gegeben, nur damit die was zu schreiben hatten. Aber so blöd waren wir ja auch nicht.

Aber es hat nach Spielen keine Auswertung gegeben?

Es hat grundsätzlich in dieser Richtung mit der gesamten Mannschaft keine Gespräche gegeben.

Wenn bei Spielen jemand auf Sie zugekommen ist mit Angeboten, wussten Sie dann, mit wem Sie es zu tun haben?

Alle Leute kann man ja nicht kennen.

Gab es Hinweise, dass die Ereignisse um Weber-Kotte-Müller vielleicht konstruiert gewesen sein könnten von der Stasi, um der Mannschaft sportlich zu schaden?

Ob da nun jemand dabei war, der uns provozieren sollte, kann ich nicht sagen.

Die Stasi notierte damals, eine der Personen, die Weber ansprachen, habe sich als Hannes Löhr ausgegeben, kannten Sie den?

Also natürlich kannte ich Hannes Löhr, aber der war es mit Sicherheit nicht. Ich habe mit Hannes Löhr später ja noch zusammengearbeitet, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der das so plump gemacht hätte. Der war es mit Sicherheit nicht.

Aber wer es war, wissen Sie nicht?

Nein.

Wie ist die Mannschaft mit dem Verlust der drei Spieler umgegangen?

Es ist natürlich sehr lange her, wir werden sicher darüber gesprochen haben, aber viel wichtiger war ja für uns, wieder eine schlagkräftige Mannschaft zusammenzubekommen. Drei Nationalspieler im besten Fußballalter, das ist schon ein herber Schnitt. Aber dann ist das Thema so schnell wie möglich abgehakt worden.

Von den Spielern oder verordnet von außen?

Gedeckelt worden ist es mit Sicherheit nicht. Das Tagesgeschäft musste ja weitergehen. Es war ja in der Winterpause, aber als die Spiele wieder begannen, musste es ja weitergehen. Es ist ja nie etwas rausgekommen. Im Großen und Ganzen musste es weitergehen.

Ist Ihnen der Kontakt zu den drei Spielern verboten worden?

Ja, das hatte man uns gesagt. Die Spieler hatten ja auch Stadionverbot. Darüber sind wir informiert worden, und darüber, dass wir versuchen sollten, jeden Kontakt zu vermeiden. Aber bei mir ging das schon gar nicht mit Kotte, irgendwann läuft man sich über den Weg. Es wäre doch totaler Schwachsinn gewesen, ihn dann stehen zu lassen. Aber ich bin nicht der Mensch, der danach gefragt hat. Wir haben darüber gesprochen, was er gerade macht. Von sich aus haben die Spieler auch nichts gesagt.

Hat sich in den 80er-Jahren das Vorgehen des MfS verändert?

Das ist immer das Gleiche gewesen. Ich bin auch dann nicht angesprochen worden von dieser Richtung.

Zu dieser Zeit begann die Ära des BFC. Haben Sie irgendwie feststellen können, dass das MfS hier Einfluss auf sportliche Ergebnisse nimmt?

Mielke war ja als großer Verantwortlicher der SV Dynamo immer auch bei Meisterfeiern dabei. Und hat 1978 den Spruch losgelassen: Ihr wart jetzt genug Meister, jetzt ist der BFC dran „und daran werde ich alles setzen“. Das hat er wortwörtlich gesagt. Das hat er in aller Öffentlichkeit verkündet, vor allen Spielern. Von diesem Zeitpunkt an ging es dann los mit dem BFC. Es sind in dieser Zeit schon viele Sachen passiert, an Entscheidungen auf dem Spielfeld. Es kann ja viel passieren, es passiert ja auch heute viel, aber wenn davon immer nur eine Mannschaft profitiert, dann ist das schon seltsam. Aber man darf auch nicht vergessen, dass der BFC auch eine gute Fußballmannschaft hatte. Aber sie waren nun auch nicht so gut, dass sie zehn Jahre hintereinander Meister werden mussten. So gut sind sie nun auch wieder nicht gewesen. Da sind schon Entscheidungen gefällt worden, es hat sich ja im Nachhinein gezeigt, was das für Leute waren, einzelne Schiedsrichter.

Ist der BFC bevorteilt worden, bei Spielern, der Ausrüstung?

Nein, nicht das ich wüsste.

Haben sie an anderen Sachen bemerkt, dass Mielke „alles dran setzt“?

Nein, es ist ja nicht so gewesen, dass er jetzt gesagt hat: Jetzt unterstütze ich Dynamo Dresden nicht mehr. Weil insgesamt ist ja Dresden von Mielke gestützt gewesen. Es ist jetzt nicht so gewesen, dass er gesagt hat: Ich dreh‘ Euch jetzt den Hahn zu. Es ist meiner Ansicht nach wirklich nur die sportliche Seite gewesen, wo er hineingepowert hat, und die Sache mit den Schiedsrichtern. Das hat ausgereicht.

Welche Rolle hat bei dieser Sache die SED (Sozialistische Einheitspartei in der DDR) gespielt?

Grundsätzlich muss ich sagen, Parteiauftrag hin Parteiauftrag her, damit gewinne ich keine Spiele, das haben wir als Spieler gewusst, die Parteisekretäre mussten natürlich ihre Arbeit machen, das ist ja ganz normal, aber deswegen haben wir ja noch keine Spiele gewonnen. Die haben natürlich immer wieder erzählt, dass wir den Auftrag haben, Meister zu werden, international zu spielen. Aber deswegen haben wir ja noch keine Spiele gewonnen. Aber diese Ziele hätten wir uns auch ohne den Parteisekretär gesetzt. Wir hatten jede Woche 30.000 Zuschauer, da kann ich mir keine Nichtabstiegsprämie auszahlen lassen. Auch wenn uns mal ein Funktionär, nachdem wir gerade mit 0:5 aus dem Europacup rausgeflogen sind, erzählt hat, wir brauchen den Fußball nicht in Dresden. Wahrscheinlich hat er sich genauso geärgert wie wir, aber ich kann doch nicht so einen Schwachsinn erzählen. Aber wir haben trotzdem Unterstützung bekommen. Die Bezirksparteileitungen haben natürlich den Fußball unterstützt, weil man damit die Massen erreicht hat.

Wie hat sich das entwickelt, als sich abzeichnete, dass der BFC nun Serienmeister wird, es gab Unwillensbekundungen vom Publikum?

Natürlich haben wir darüber gesprochen. Aber wir haben uns dann damit abgefunden. Es war ja nicht zum Aushalten, wenn man gesehen hat, was da passiert ist. Nicht nur, wenn wir gegeneinander gespielt haben, sondern auch sonst. Aber wenn wir gegeneinander gespielt haben, dann haben wir schon versucht, die Berliner wegzuputzen. In den Pokalspielen ist uns das ja immer gelungen. Dort war der Druck der Öffentlichkeit so groß, dass sich die Schiedsrichter das nicht erlauben konnten. Über eine Meisterschaft verteilt, ging das. Das Pokalendspiel war das einzige, das live im Fernsehen lief und im Publikum saßen auch andere Politiker außer Mielke.

Vereinsführung und Parteispitze haben sich mit der Rolle von Dynamo abgefunden?

Die ersten Jahre hat man noch diskutiert darüber, aber im dritten, vierten Jahr ist dann von dieser Seite auch nichts mehr gekommen, es war ein offenes Geheimnis, dass es so war. Ein bisschen Ahnung hatten sie schon vom Fußball, da sind wir auch nie so unter Druck gesetzt worden, die wussten schon, wo es lang geht. Denen war wichtig, dass wir im direkten Vergleich gut abschnitten – in Dresden ist uns das ja auch meistens gelungen -, damit die Fans beruhigt waren. Und wenn wir gewonnen haben, dann hat es die Fans gefreut und das war auch der Parteispitze wichtig.

Wie ist das von den MfS-Leuten gesehen worden, haben die gesagt, tut uns leid, es ist halt so?

Der Böhm (Chef der MfS-Bezirkszentrale – d. A.) hat sich dazu nie geäußert, aber der Böhm war ein absoluter Fan von Dynamo. Der hat auch in der Zeit, als es mal nicht so lief, voll hinter der Mannschaft gestanden.

Böhm hat dann auch keine Berliner Linie verfolgt, um dem BFC zum Vorteil zu verhelfen?

Nein das hat er nicht. Die Leute waren im Prinzip schon Anhänger von Dynamo Dresden. Die haben sich auch gefreut, wenn wir gewonnen haben.

Haben Sie sich beobachtet gefühlt?

Nein, habe ich eigentlich nicht. Aber manchmal ging es einem schon auf den Geist, dass die immer da waren. Die haben zwar nicht ständig das Gespräch gesucht, aber sie waren eben da.

Was glauben Sie, hat die Stasi mit den Leuten in Ihrem Umfeld bezweckt?

Was da ihre Aufgabe war, kann ich nicht sagen. Sicher ein bisschen beobachten und bisschen rumhorchen, das kann alles sein. Aber es hat sich mir nicht erschlossen, was die konkret wollten.

Wie hat sich das MfS im Fall Lippmann (der Spieler nutzte 1986 ein Spiel in Uerdingen, das nach 3:1 Führung in der Halbzeit noch mit 3:7 verloren ging und zum Ausscheiden aus dem Europacup führte, um zu fliehen – d. A.) verhalten?

Wir hatten spät gespielt, haben dann noch etwas zusammengesessen, in verschiedenen Gruppen auf den Hotelzimmern, wie das so ist, wenn man nicht schlafen kann. Morgens mussten wir zeitig raus und da war er nicht mehr da. Da hat es natürlich Ärger gegeben. Wir waren dann relativ zeitig in Dresden auf dem Flughafen und sind dann sofort ins Stadion gefahren, durften nicht nach Hause. Da sind dann alle befragt worden, was denn gewesen sein könnte.

Aber ich muss hier einmal einhaken. Es ist ja heute so, dass diejenigen, die abgehauen sind, damals, heute als Helden gefeiert werden. Im Prinzip sind das ja keine Helden. Die Helden sind die, die hier geblieben sind, die dann den ganzen Mist mitmachen mussten, die für Lippmann hier den Kopf hingehalten haben, dass habe ich auch damals schon gesagt. Wir haben zwei Tage später einen auf die Mütze gekriegt und sind hier ausgepfiffen worden.

Das sind ja erst mal alles Gespräche gewesen, die haben schon etwas länger gedauert und die waren unangenehm. Mich hat das nämlich überhaupt nicht interessiert, ob ein Lippmann oder ein Weber oder wer immer die Absicht hatte, rüber zu gehen. Das hat mich wirklich nie interessiert. Ich habe mit Lippmann in einem Zimmer geschlafen in Uerdingen und als ich früh halb vier ins Zimmer komme, war niemand da. Und eine halbe Stunde später bin ich geweckt worden und bin gefragt worden, wo der ist. Du musst doch wissen wo der ist, ihr habt doch auf einem Zimmer gelegen und so. Da hab ich immer gesagt, das interessiert mich nicht. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, wir waren erwachsene Menschen, wir haben Kinder gezeugt, Lippmann auch, und der muss doch wissen, was er macht.

Das ist Ihnen nicht abgenommen worden?

Am Ende konnte ich weiter nichts sagen, wir waren Essen und dann hat sich das zerstreut, und ich war nicht auf dem Zimmer, wo Lippmann war. Natürlich war das dann für mich unangenehm, am nächsten Tag als ich wieder hier war.

Wie sind die Gespräche gelaufen?

Als Erstes wollten die wissen, was ich den ganzen Abend gemacht habe. Das Schlimme war, dass die Leute nicht geglaubt haben, dass ich die ganze Zeit auf einem Zimmer saß, aber ich hatte zehn Zeugen. Und dann bin ich natürlich gefragt worden, warum ich nicht sofort Alarm schlage, wenn ich auf mein Zimmer komme und mein Mitbewohner ist nicht da. Das hat mich nicht interessiert. Und da ist immer wieder gebohrt worden.

Die Gespräche wurden von MfS-Leuten geführt?

Ja, das waren MfS-Leute. Das war schon unangenehm. Weil erst mal der Frust drin war, dass wir verloren haben. Geschlafen haben wir auch nicht und dann freust du dich, dass du nach Hause kommst. Und dann wirst du dort den ganzen Tag festgehalten. Dann ging es gleich wieder ins Trainingslager für das nächste Spiel am Wochenende. Wir sind gar nicht nach Hause gekommen.

Noch mal zur Haltung des MfS gegenüber Dynamo Dresden, wie hat sich das geäußert, dass Böhm beispielsweise ein Fan war?

Böhm war insgesamt für die Mannschaft, wenn es irgendwelche Probleme gab, immer da. Hat uns geholfen, unterstützt. Er hat sich sehen lassen, nach dem Spiel und so. Ich denke schon, dass er insgesamt Fußballanhänger war und dass er sich schon gefreut hat, dass wir die Leute hier insgesamt einigermaßen zufriedenstellen. Das merkte man schon. Auch die Leute hatten ja ein bisschen Privatleben, ein bisschen Kontakt, anderen Kontakt hatten die ja auch.

Welche Probleme wurde da mit Böhm besprochen?

Wir haben ja nicht immer gewonnen, es gab ja auch mal Phasen, in denen wir verloren haben und Kritik einstecken mussten. Und dann gab es praktisch vier Seiten: Es gab die übergeordnete Leitung von Dynamo, die Zentrale Leitung in Berlin. Es gab das Präsidium von Dynamo Dresden, es gab die SED-Parteileitung und es gab das MfS. Und wenn wir jetzt dreimal verloren hatten, dann haben sich die ganz oben gemeldet. Das Präsidium war nicht zufrieden und die Bezirksleitung hat auch noch mit reingehauen. Der Böhm war nicht so, der hat uns immer wieder eingeredet, dass wir nach vorne sehen müssen. Dass er einmal gesagt hätte, ihr Pfeifen, ihr kriegt jetzt das und das nicht mehr, das hat er nie gemacht. Das haben andere gemacht.

Das kam dann von der SED-Bezirksleitung?

Die Bezirksleitungen die waren ja untereinander neidisch, wenn die zusammengetroffen sind, dann haben die sich ja nur über Fußball unterhalten. Und wenn Dresden dann gewonnen hatte, dann standen die natürlich dicke da. Und Politiker sind ja eitel. Wenn die nicht vorne stehen konnten, dann hat es schon Feuer gegeben, die haben uns das schon spüren lassen.

Können Sie das an konkreten Dingen festmachen?

Es gab ja für jeden Verein finanzielle Unterstützung. Das ist dann einfach mal ausgesetzt worden, aber ob das die Lösung war, wusste ich auch nicht.

Die Zentrale Leitung in Berlin konnte sich dann aber die Hände reiben, wenn der BFC vorn lag?

Nein, nein. Das ist ja das Kuriose. Es gab ja in der Zentralen Leitung Leute, die waren direkt für Dynamo Dresden zuständig. Die werden natürlich wieder Feuer gekriegt haben, wenn es bei uns nicht gelaufen ist. Das gab es auch. Es war nicht so, dass Berlin gesagt hat seit 78, mit Dresden wollen wir nichts mehr zu tun haben. Die haben schon Einfluss genommen und aufgepasst, was hier unten läuft. Die waren auch darauf aus, dass wir erfolgreich waren.

Dass der BFC durch Schiedsrichterleistungen bevorteilt wurde, ist demzufolge eine ganz private Sache von Erich Mielke gewesen?

Das kann ich nicht sagen, wie die das gemacht haben, um den Erfolg abzusichern, weiß ich nicht.

Ist Ihnen bei der zentralen Leitung aufgefallen, dass diese die Geschicke so gelenkt hat, dass der BFC seinen Vorteil davon hat?

Was in Berlin gelaufen ist, kann ich natürlich nicht sagen. Aber hier in Dresden hab ich davon nichts bemerkt.

Wie bewerten Sie die IM-Tätigkeit einiger Spieler?

Am Anfang war ich schon erschrocken, das habe ich nie gedacht, dass das in diesem Maß ist. Aber wir sind alle ein bisschen reifer geworden. Aber ich denke, man sollte die Spieler deswegen nicht so hart angreifen. Man kann in so eine Situation kommen. Deshalb habe ich gesagt, ich bin zum Glück nicht angesprochen worden. Ich kann mich heute nicht hinstellen und sagen, mir wäre das nicht passiert, da gibt es ja auch einige, das kann ich nicht. Man sollte da nicht nachtragend sein. Ich habe zu den meisten Spielern nach wie vor Kontakt.

Haben Sie Akteneinsicht beantragt, wollen Sie es?

Nein, ich war manchmal schon so weit. Aber es ist vorbei. Ich möchte mich jetzt auf andere Aufgaben konzentrieren.

Hans-Jürgen Dörner bestritt er 100 Länderspiele mit der Nationalmannschaft der DDR. 1976 gewann er mit der Mannschaft die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen. Kurz vor seinem 71. Geburtstag ist er am 19. Januar 2022 gestorben. Fans sorgten für ein Blumenmeer vor der Tribüne in Dresden, die schon zu seinen Lebzeiten seinen Namen trug (Foto: Gunnar Klehm).

Beitrag von 21. Februar 2022

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